Die fast größenwahnsinnigen Extravaganzen von Arca oder Kanye West haben 2021 ebenso bereichert wie die leiseren Töne, die von Grouper oder Dean Blunt angeschlagen wurden. Mit Ungemach, Sega Bodega und Smerz beglückte uns zudem eine Reihe aufregender Acts, die das Verhältnis von Pop und experimenteller Elektronik neu zu verhandeln suchten.
20
Burial
Chemz / Dolphinz
Während Burial auf "Chemz" seine bereits auf älteren EPs angeklungene 2000s Dancefloor-Euphoria auf die Spitze treibt, setzt er mit dem extrem düster-sakralen "Dolphinz" einen subbassgewaltigen Kontrapunkt dazu.
19
LD
Who's Watching
UK-Drill-Rapper LDs Appeal lebt zu großem Teil von der druckvollen Stimme desselben sowie lakonischen bildreichen Punchlines. Je kühler der Beat, desto besser funktioniert das.
Video: "Intro"
18
Yves Tumor
The Asymptotical World
So sehr sich Yves Tumors Musik in den letzten Jahren verändert hat, so sehr hat sich ebenfalls gewandelt, was ich an ihr schätze: Auf The Asymptotical World sind es vor allem die mitreißenden, kraftvollen Pop-Songs wie "Jackie" oder "Crushed Velvet" die begeistern.
Video: "Jackie"
17
Neromun
Blass
Blass kommt mir vor wie das hoch stylishe, locker aus der Hüfte geschossene Autotune-Trap-Album, das Deutschrap seit circa fünf Jahren hervorzubringen versucht. Die zu größeren Teilen gefreestyleten Lyrics klingen ihrer Natur nach unverkopfter, weniger wie das tägliche "Vater Unser" woker Philosophiestudierender und mehr wie random Assoziationsketten in Kodein badender Kunstakademie-Hipster. Warme minimalistische Produktionen, die Frank Ocean und Kanye West evozieren sowie ein Künstler, der mit viel Gefühl Flexes zwischen Alltagsgewäsch und Seelenspiegel serviert.
Video: "Persil"
16
Ka
A Martyr's Reward
Brooklyn-MC Ka zementiert seinen Status als Instanz des lyrisch anspruchsvollen und atmosphärischen Storytellings. Charisma über Special Effects.
Video: "I Notice"
15
Hildegard
Hildegard
808s & Bedroom-Trip-Hop. Die Zusammenarbeit von Ouri und Helena Deland bietet eine Menge Gesäusel und Geschmachte über warme, klare Beats. Die Liebe für das geschwungene Tanzbein steckt hier zurück gegenüber gar nicht mal so vertracktem Downtempo-Pop.
Video: "Jour 1"
14
Jean-Michel Jarre
Amazônia
Es pluckert, zirpt und knistert. Ein Gewitter. Ein Rascheln im Unterholz. Geisterhafter Gesang. Etliche Field Recordings bilden den Klebstoff, der Ambient, tribale Perkussion und Minimal Techno zu einer hypnotisierenden Einheit verbindet. Alles in Jarres amazonischem Regenwald ist in steter Bewegung. Ein sich selbst speisender Zyklus; ein Schauspiel, an dem Vögel, Insekten, Pflanzen und Witterung gleichermaßen teilhaben.
Video: "Amazônia, Pt. 9"
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aya
im hole
ayas Vocalvorträge nehmen selten eine geschlossene kohärente Form an. Zwischen beharrlicher Repetition, beiläufigem Gehauche, kühlen Spoken-Word-Einlagen und eruptiven Schreien befinden sich die Vocals in einer permanenten Bewegung, wie rast- und ruhelose Geister, die über die klanglichen Flickenteppiche dahinhuschen ohne je einen Halt erlangen oder sich auf einen festen Grund stützen zu können.
Video: "Emley lights us moor (feat. Iceboy Violet)"
12
Andy Stott
Never The Right Time
Andy Stott klingt leichter, luftiger und analoger als man ihn bisher kannte. Mehr Ambient, weniger Industrial. Neben den Gesangsparts von Langzeitweggefährtin Alison Skidmore bezirzen vor allem die raumgreifenden Gitarren- und Basslinien.
Video: "Hard To Tell"
11
Kanye West
Donda
Donda ist das Comeback des grandiosen Stadionpops à la My Beautiful Dark Twisted Fantasy. Doch die 11 Jahre dazwischen sind auch an Kanye nicht einfach vorübergezogen. Ihre Spuren manifestieren sich in Form des aggressiven, seine Post-MBDTF-Ära prägenden Minimalismus sowie in variablen Trap-Flows und in in Gospel gekleideten religiösen Erweckungsmomenten. Dabei geben sich Hits wie "God Breathed" oder "Ok Ok" die Klinke in die Hand.
Audio: "God Breathed"
10
CECILIA
Summer in Sexilia
Summer in Sexilia erscheint als hitzeinduzierte Halluzination. Flimmernde Traumlandschaften, wabernde Drones. Teils verlorene Stimmfragmente schamanenhafter Geisterbeschwörung, teils deutlicher umrissene Klagelieder.
Video: "Grave"
9
Arca
KICK ii, KicK iii, kick iiii, kiCK iiiii
Auf ihren gleichzeitig veröffentlichten Alben KICK ii, KicK iii, kick iiii und kiCK iiiii stellt Arca ihr gesamtes Repertoire zur Schau. Dem Industrial-Hip-Hop ihrer Stretch 1/Stretch 2-Periode, den strukturoffenen glitchy Soundexperimenten ihrer ersten beiden Alben und den futuristischen Balladen ihres selbstbetitelten Opus Magnum trägt sie dabei ebenso Rechnung wie ihrer zuletzt eingeschlagenen Richtung poppigen Deconstructed Reggaetons.
Video: "Prada/Rakata"
8
Exploited Body
When My Darkness Came To Light
Permafrost. Jede menschliche Marginalität niederdrückende Monolithen aus schwarzem Salzgestein, glatt und abweisend, geschliffen von den unendlich rauen Wüstenstürmen des Kosmos. Noise, Industrial und Dark Ambient fusionieren hier zu einem beklemmenden Porträt der dunklen Seite des Mondes.
Audio: "Still Life"
7
Sega Bodega
Romeo
Auf seinem bisher kraftvollsten Release gelingt es Sega Bodega, gerade die Elemente zeitgenössischer Popmusik zu extrahieren, die interessant und bewahrenswert sind, ohne dabei je ins Gefällige zu verfallen. Die Songs weisen ein anspruchsvolles, durchaus experimentelles und abwechslungsreiches Sounddesign auf, sind aber zugleich unglaublich catchy bis fast schon cheesy und machen in erster Linie einfach Spaß. In einer so produktiven Form ist das selten zu hören.
Video: "Only Seeing God When I Come"
6
S280F
28
Geleitet von Klavier-Kompositionen und String-Synths birgt 28 Momente einer reinen Schönheit, wie man sie sonst eher aus der Klassik kennt. Jede Rhythmik bleibt dabei fragmentarisch und glitchy. Mittels mannigfacher Natur-Field-Recordings gelingt S280F eine faszinierende Synthese des Animalischen und des Menschlichen. Synthies, die Naturphänomenen gleichen begegnen Samples von Donnergrollen, Regen oder Insektenschwirren, die allesamt den Charakter des Gemachten, Inszenierten oder gar Mechanischen annehmen.
Album: "28"
5
Dean Blunt
Black Metal 2
Das 2014 veröffentlichte Black Metal besitzt in Indie-Kreisen verdientermaßen Kultstatus. Seinem Sequel gehen die schwerer verdaulichen, teils enorm ausufernden und noisigen Klangexperimente gänzlich ab. Stattdessen erleben wir Dean Blunt hier von seiner zugänglichsten Seite, wobei die Songs seine seltene Gabe vorführen, mit einfachen Mitteln viel zu bewegen. Ein perfekt gesetzter Loop, ein bisschen Bassline und gegebenenfalls ein paar zurückhaltende Drums überlassen dabei vor allem seiner durch Mark und Bein gehenden Stimme das Rampenlicht.
Album: "Black Metal 2"
4
Ungemach
Es war noch nie so leicht
So zerrissen wie die EP mitunter klingt ("Met de prijs van zijn bloed", "Vaterstaats Hände"), reibt man sich die Augen, bloß eine Ecke weiter den Popsong des Jahres auszugraben ("Bis uns ein Feiertag vereint"). Ekel, Wut, lechzende Sehnsucht und verzweifelte Orientierungslosigkeit - Es war noch nie so leicht ist emotional vielschichtig, komplex und mitunter bis zur Unerträglichkeit zerrüttend. Seine klangliche Entsprechung findet all das in einem Eklektizismus aus Post-Punk-Gitarren, 80s-Pop-Synthies, Deconstructed Club Music und Ostblock-Techno. Ungemach klingt dabei so hungrig und rastlos, jede seiner selbstgewählten Formgebungen immerzu negierend und aufsprengend, sprich: lebendig, dass er gegenüber dem immersatten und in ewiger Wiederholung erstarrten hiesigen Pop als Antithese erscheinen muss. Zum Interview.
Video: "Bis uns ein Feiertag vereint"
3
Grouper
Shade
Shade ist ein Album so sanft und gedämpft wie Schritte im Schnee. Fichten, eine blasse Sonne hinter nassen Nebelkleidern, eine Handvoll Krähen. Wie auf ihren letzten Werken klingen die Songs recht klar konturiert, hallige Gitarren ersetzen das hallige Piano und lassen Grouper mitunter wie den dunklen Geist von Elliot Smith oder Beth Gibbons klingen. Ihr wichtigstes und beeindruckendstes Instrument bleibt dabei die Stille. So verlangt auch Shade eine gewisse Ruhe und Geduld des Rezipierenden, um seine spröde Schönheit voll entfalten zu können.
Audio: "Ode To The Blue"
2
Paul Plut
Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse
Mitunter klingt Paul Plut so, wie man sich einen Steiermark'schen Tom Waits vorstellen würde - und das liegt nicht nur an Rhythmik und Perkussion der Stücke. Versammelt sind hier einige der traurigsten, schaurig-schönsten Kneipenchansons, einige der aufwühlendesten Wiegenlieder seit eben jenem Tom Waits. Paul Plut reibt Salz in jede auch nur halboffene Wunde, bloß um diese alle miteinander wieder einzubalsamieren.
Video: "Schwarze Finger"
1
Smerz
Believer
In zahlreichen Rezensionen zu Believer
wurde Smerz vorgeworfen, das Album klinge unfertig, es beinhalte
exzellente Ansätze, die jedoch im Nirgendwo versandeten. Zudem irritierten die immanenten
Brüche. Grundsätzlich kann ich nachvollziehen,
woher diese Eindrücke kommen, da es mir anfangs ebenfalls schwerfiel,
einen Draht zum Albumdebüt des Osloer Duos zu bekommen. Während die 2018
veröffentlichte zweite EP Have fun bereits mit der poppigen Clubbyness ihres Vorgängers zugunsten eines deutlich schmutzigeren Soundbildes aus Industrial und UK Bass brach, kündigen Smerz mit Believer die geschlossene Songform ebenso auf wie die Have fun
eigene "Thickness". Tatsächlich wirkt das Album an vielen Stellen
eigenartig karg - ein radikaler Minimalismus, der sich zwischendurch so
anfühlt, als wären der Musik ganze Frequenzbänder abhanden gekommen.
Wiederholte
Hördurchgänge verfestigen jedoch den Eindruck, dass es Smerz gelungen
ist, ein Gesamtwerk zu schaffen, dass in seiner Komposition wie seinem
Rhythmus höchst eigen und im besten Sinne avantgardistisch ist. Dabei gehen
sie keineswegs den Weg kalkulierter Weirdness oder Antithese, viel
mehr öffnen sich die Songs von mal zu mal mehr, wachsen mit der Zeit
und die vormals so "anders" erscheinende Gesamtstruktur fühlt sich
plötzlich richtig heimelig an. Die Gesangsmelodien sind von einer selten
intimen Zärtlichkeit, der rote Faden ist verwickelt aber niemals
verloren, in einer unaufhörlichen Zerreißprobe zwischen ermächtigendem
Selbstbewusstsein und einer doch nie abzuschüttelnden Flüchtigkeit und
Fragilität. Zu den offensichtlichen Highlights zählen das von einer
einfachen Arpeggiator-Melodie und schiefen Streichern getragene
"Flashing", das zunächst trip-hoppige, dann dramatisch implodierende
"Glassboard" oder der Stakkato-Bassdrum-Post-Rave-Herzensbrecher "I
don't talk about that much". Doch seine Faszination gewinnt Believer vor
allem dadurch, dass sich kein Interlude, kein Detail wie
Füllwerk anfühlt. Das Werk ist als Ganzes größer als die Summe seiner
Einzelteile.
Video: "Believer"
Ebenfalls hörenswert:
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