Sonntag, 24. April 2022

Rezension: Kamp & Fid Mella - 2urück 0hne 2ukunft

Viel Wasser ist seit Kamps Klassiker-Debüt die Donau hinuntergeflossen. Zusammen mit dem Produzenten Fid Mella hat er nun einen würdigen Nachfolger veröffentlicht.

 

 

 

 

 

 

13 lange Jahre war nach Kamps 2009 erschienenen Albumdebüt Versager ohne Zukunft auf dessen Nachfolger zu warten gewesen. Dass es dem Wiener nun gelingen würde, den damals gesponnenen Faden in derart virtuoser Manier wieder aufzunehmen, traute man sich kaum zu hoffen. Tatsächlich hat 202 den Charakter eines Fortsetzungsromans, wobei Kamp seine wortwitz- und selbstreferenzreiche Bilanz zu einer großen, Alben übergreifenden Erzählung verdichtet. Der Teufel steckt dabei wie so häufig im Detail. Ebenso wenig, wie es denkbar gewesen wäre, den auf seinem Debüt erschaffenen Trademark-Stil in Gänze über den Haufen zu werfen, wäre es möglich gewesen, die ins Land gezogene Zeit hinfortzuwischen und dem Erstling einen nostalgischen Epigonen zu schenken. Die auf 202 komplett von Fid Mella stammenden Produktionen sind cleaner, warm und elektronisch, der versierte lässige Flow ist noch schleppender, das gesamte Tempo abermals zurückgefahren.

Auf faszinierende Weise legt Kamp einen maximal intimen Seelenstriptease bei gleichzeitig auf die Spitze getriebener Selbstinszenierung hin. Allgemein profitiert Kamps Kunst von seiner spannungsreichen, Widersprüche aushaltenden Herangehensweise. Einerseits ist die Platte düsterer als der Erstling („Ich nehm‘ statt Tresleen Sertralin/ leer mich nieder und scheiß‘ auf Gesprächstherapie“), andererseits reißt das Gewölk gerade zum Ende hin weit auf und gibt Raum für ungebrochen hinabsteigende Sonnenstrahlen („Nori, glaub‘ mir das hier fühlt sich an wie vorher nichts/ nichts mehr mit vor Verantwortung drücken und psychisch krank vor Sorgepflicht/ Müßiggang mit Gordi Spritz (nah)/ Nah, ich lieg‘ lächelnd wach, über meine Süße tanzt das Morgenlicht [...] Wir sind stur durch einen Sturm gelaufen/ kurz davor durchzuschrauben/ doch wurden im Sturzflug Turteltauben“). Zwar kreisen die verschachtelten, in schönstem Wienerisch hingelegten Reimketten der Form nach weiterhin um vertraute Ankerpunkte wie Depressionen, Substanzkonsum/-abhängigkeit sowie das Schwanken zwischen Selbstzerstörung und dem Ringen um Halt, jedoch stehen diese ganz im Zeichen eines durch schmerzhafte persönliche Verluste sowie die erwartete Vaterschaft Kamps gänzlich veränderten Bezugsrahmens. Die Extreme von Hoffnung und Verzweiflung, von Leben und Tod, Schönheit und Hässlichkeit werden nicht einfach in ihrem Durchschnitt versöhnt, sondern jeweils auf die Spitze getrieben. Dass Tracks wie das Album-Herzstück „Leuchtende Tage“ Kehlen zuschnüren und Tränenkanäle offenlegen, ist mehr als bloßes Phrasenwerk.

202 ist eine komplexe, emotional aufrührende LP, die ihrem Vorgänger um keinen Deut nachsteht, vermutlich aber auch erst durch diesen ihren vollen Bedeutungsgehalt erschöpft.