Mittwoch, 18. August 2021

Ungemach: „Da reitet dann eine Mischung aus Unzufriedenheit mit mir selbst und der Außenwelt Hand in Hand in die Schwärze“


Von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt erblickte im Schoße der Wupperstadt eine der aufregendsten EPs des Jahres das bewölkte Taggrau. Texte deutscher Sprache zeichnen die Verlorenheit einer zwischen Ekstase und Tristesse zerrissenen Generation. Im Interview spricht der bildende wie musizierende Künstler Ungemach über seine Einflüsse aus Post-Punk, Rap, Pop, Industrial und elektronischer Tanzmusik sowie seine Inspiration und sein Kunstverständnis.

 

 

 

 

 

 

Auf „Wenn du mir glaubst“ heißt es: „Zeigst du mir auch manchmal Bilder – oder nur Fotografien?“ Was macht ein Bild zu einer der Fotografie gegenüber privilegierten Darstellungsform und was für Bilder sind es, die du gerne zeichnen möchtest?

In dem Song geht’s inhaltlich vor allem um etwas, dass sich in zwischenmenschlichen, vor allem in amourösen Beziehungen, aber auch allgemein im menschlichen Miteinander zeigt: Dass die Darstellung von sich selbst gegenüber einer Außenwelt immer eine geschönte ist, weil man die Sachen an einem selbst oder am eigenen Leben, die nicht so interessant scheinen, die vielleicht sogar abstoßend oder nicht gesellschaftsfähig wirken oder die Aussagen, die man selbst für wahr hält, der anderen Person nicht mitteilen will, weil es zu einer Verletzung der anderen Person führen könnte oder man sich entblößen würde. Es entsteht eine Art Misstrauen davor, ob die andere Person, wenn man selbst genau weiß, dass man lügt oder nicht, genau unterscheiden kann, ob man lügt oder nicht.

Was die Vorzüge der Fotografie gegenüber der Malerei betrifft: Ich würde behaupten, dass die Darstellung oder Inszenierung von einem selbst, die nicht 1:1 den banalen Denk- und Verhaltensweisen
oder Emotionen im Alltag entsprechen soll, eine tiefere, unangenehmere Auskunft darüber geben
kann, was für eine Person du bist – Also nicht die banale Realität, sondern die Vorstellungen, die man hegt und die möglicherweise gar nicht der eigenen unmittelbaren Realität entsprechen, die ein viel
reichhaltigeres und intimeres Bild abgeben, auch wenn es sich gewissermaßen einem Anspruch von
Objektivität oder Messbarkeit entzieht. Das finde ich auch wesentlich interessanter, da dieses Bild, das
man liefert, auch dazu einladen oder führen kann, Gedanken weiter zu spinnen oder sich in Zuständen zu verlieren, die einen aus dem gewohnten Denken und Handeln rausbringen.

Also technisch ist die Fotografie eine getreuere Abbildung, gegebenenfalls jedoch auch bereits eine Inszenierung? Und das Bild ist eher etwas affektiv Aufgeladenes, das reicher an eigenen Ideen, Wünschen und Trieben ist, die stärker herausgearbeitet werden und dadurch in ihrem Wahrheitsgehalt über die bloße Abbildung hinausgehen?

Ja.

 

Schaffst du deine Musik und deine Bilder aus dem gleichen Impuls und mit dem gleichen Ziel? Oder gibt es da grundsätzlichere Unterschiede in der Herangehensweise?

Du meinst Malerei und Musik?

Genau.

Es ist insofern ein ähnlicher oder derselbe Antrieb, als dass ich es schön finde, am Ende ein Produkt zu haben, dass ich mir entweder gerne ansehe oder gerne anhöre und denke, dass ich da etwas habe, an dem ich selbst Gefallen finde und an dem vielleicht auch eine andere Person Gefallen findet oder, was natürlich noch besser ist, was über das Gefallen allein hinausgeht, wenn man möglicherweise auch noch in ein Gespräch darüber kommt.

Unterschiedlich insofern, als dass ich bei der Malerei viel weniger affektiv arbeite, als ich das in der Musik tue. Die Musik stellt wesentlich mehr ein Experiment für mich dar als die Malerei, bei der ich meistens mit einem relativ klaren Plan davon rangehe, was am Ende herauskommen wird, zumindest ungefähr, bei manchen Sachen auch ganz klar. Dann ergibt sich aus dem Schaffensprozess des Bildes mehr, was ich überhaupt mit diesem Bild ausdrücken wollte oder konnte oder was ich darin selbst lese, was mir ursprünglich gar nicht bewusst war. In der Musik lasse ich mich viel mehr davon leiten, wo mich bestimmte Klänge oder Rhythmen hinführen, und das baut sich dann relativ organisch auf. Ich fühle mich dann mehr in diese Klangwelt, die mir dann ab einem gewissen Zeitpunkt vorliegt, ein, und habe dann eine ungefähre Vorstellung davon, was ich mir textlich dazu vorstellen könnte. Ich arbeite dann meistens mit Sachen, die ich bereits aufgeschrieben habe. Ich sammele permanent Textversatzstücke, teilweise auch gesamte Gedichte oder längere Texte und schaue dann, wie ich die in den Klang der Musik bringen kann. Oftmals führt mich die bereits bestehende Musik auch noch mehr zu anderen Textebenen, die ich vorher so gar nicht hatte.

Man könnte sagen, die Malerei ist wesentlich geplanter und die Musik ist affektgeladener, was aber auch dem Medium geschuldet ist. Musik ist – zumindest für mich – emotional wesentlich ansprechender als Malerei. Bei Malerei finde ich es oftmals schön, mich an einer interessanten Form oder an einer interessanten Komposition zu ergötzen. Die muss mich dann gar nicht unbedingt berühren, dass finde ich dann einfach ästhetisch ansprechend oder handwerklich interessant. Ich empfinde dann dabei aber nicht unbedingt etwas, während das bei der Musik ein ganz anderer Punkt ist. Musik ist auch wesentlich schneller als Malerei. Zumindest die Art von Malerei, die ich betreibe, dauert relativ lange und da funktioniert es nicht so gut, einen Emotionszustand oder einen Gedanken, der sich auch schnell wieder verflüchtigen kann, auszuarbeiten.

Finden in der Musik also grundsätzlich andere Themen ihren Ausdruck?

Wahrscheinlich schon, ja.

Also zielt deine Malerei gar nicht darauf ab, Emotionales auszudrücken, sondern die Ästhetik selbst steht im Vordergrund?

Es wäre ein bisschen zu kurz gegriffen zu sagen, dass die Ästhetik im Vordergrund steht. Ich glaube, die Bilder sind verrätselter, für mich sind sie zumindest verrätselter als die Musik. Die Musik wirkt sehr konfrontativ.

Die Bilder sind für mich einfach kryptischer, weil sie auch symbolistische Anwandlungen haben oder, wenn ich figurativ arbeite, die Blickrichtung der Figur in Korrespondenz mit der Handgeste einer anderen steht; die Farbigkeit in der oberen linken Ecke bezieht sich auf eine andere Bildebene und das eröffnet wiederum einen Dialog. Insofern befinden sich da Zwischenbezüge, die dann auf eine inhaltliche Vagheit hinweisen, wo man sich die Geschichte selbst zusammenspinnen kann, während die Texte die ich schreibe, würde ich zumindest behaupten, nicht wirklich verrätselt sind. Die haben Sprachbilder, die man auf eine andere Art und Weise deuten kann. Es bestehen auch Bezüge zwischen den einzelnen Zeilen, aber ich würde behaupten, dass diese klar in ihrem Ausdruck sind und nicht viel Interpretationsspielraum aufweisen. Auch wenn ich den Interpretationsspielraum nicht absprechen würde, aber er besteht weniger als in der Malerei.

Ist es dir wichtig, über deine Musik bestimmte inhaltliche Aussagen zu transportieren? Haben deine Texte Messages?

Auf jeden Fall keine Message, von der ich mir in irgendeiner Form erhoffe, dass sich jemand davon erleuchtet fühlt. Allein schon, dass irgendjemand Dinge begreift oder sich nochmal selbst hinterfragt, wäre natürlich schön, weil ich in den Texten sowohl Zweifel oder Ärgernisse, die mich betreffen, verhandle als auch Zweifel und Ärgernisse über ein Außen, dass sowohl bei anderen Personen oder zwischenmenschlich zu verorten sein kann oder auch ganz einfach gesellschaftlich. Ich habe bisher nicht die Hoffnung und auch nicht die Erfahrung gemacht, dass Musik oder auch Kunst im Allgemeinen wirklich eine gesellschaftliche Veränderung herbeiführen oder Leute ernsthaft zum tiefer gehenden Nachdenken oder Umdenken oder zu einem Dialog führt. Das kommt hin und wieder auf.

Also auf irgendeine Weise mag sich vielleicht irgendwas anstoßen lassen, aber selten intendiert.

Das mag sein. Für mich ist es beispielsweise so, dass es Musik gegeben hat, die mich dazu geführt hat, über Dinge neu oder anders nachzudenken oder mich in Dinge hineinzufühlen. Das waren aber selten Parolen oder klare Aufrufe oder Belehrungen, sondern – auch wenn das retrospektiv schwierig zu beurteilen ist – kam es eher durch eine musikalische Schärfung von Ästhetik und von Beschäftigung im Allgemeinen dazu. Schärfung in dem Sinne, das Beschäftigung mit Musik, also die intensive Auseinandersetzung damit, das wirkliche Versuchen zu verstehen und wertzuschätzen, was da gemacht wurde, was für Details darin stecken, womit sich die Person beschäftigt hat, sei es auf technischer oder auf inhaltlicher Ebene, über die Zeit mein Bewusstsein geschärft hat, aber keine direkte Handlung. Eher ein geistiges oder auch emotionales Schärfen.

Aber ob ich etwas Bestimmtes ausdrücken oder vermitteln will…Wie war die Frage nochmal?

Ist es dir wichtig, über deine Musik bestimmte Aussagen zu transportieren? Hast du einen bestimmten Gedanken oder eine bestimmte Beobachtung, die dir wichtig ist und ist es dir dann ebenfalls wichtig, dass diese bestimmte Art, wie du über ein Thema denkst, bei jemand anderem auch so ankommt?

Da neige ich sehr zu. Auch Dinge teilweise zu überklarifzieren und dann am Ende nochmal einen Schritt zurückzumachen, weil ich merke, dass ich niemandem einen Erklärtext oder einen Essay darlegen will. Das finde ich sehr uninteressant und es macht die Uneindeutigkeit von Kunst, die eigentlich das größte Qualitätsmerkmal ist, zunichte.

Aber ich komme nicht drum herum, Dinge, die ich beobachte oder Bilder in meinem Kopf, die ich mir zurechtspinne oder Worte oder Satzversatzstücke oder Sprachbilder, die für mich unmittelbar und so wichtig wirken, wie etwas, dass ich als Gedanken die ganze Zeit mit mir herumtrage dann in konsequenter, harter, ehrlicher Form herausbringen möchte - was ich in den meisten Fällen so vielleicht nicht tue.

Hast du, wenn du deine Musik machst, ein bestimmtes Lyrisches Du vor Augen, eine bestimmte Hörerschaft oder Adressaten, auf die du abzielst?

Das auf keinen Fall. Ich gehe als Adressat 100% von mir selbst aus und gehe auch dadurch davon aus, dass es garantiert Leute gibt, die einen ähnlichen Geschmack haben oder ähnliche Inhalte interessant finden oder eben, was ich viel wichtiger finde, Leute, die sich davon im ersten Moment vor den Kopf gestoßen fühlen oder es nicht geil finden. Das war bei mir früher öfter der Fall, dass ich Musik gehört habe oder irgendwelche Sachen gelesen habe oder gesehen habe, die ich erst mal abstoßend oder uninteressant fand, die aber eine ungewohnte Perspektive geliefert haben, die – weil sie so befremdlich war – bei mir erst mal Ablehnung ausgelöst hat. Ich bin dann aber trotzdem darauf zurückgekommen, weil ich es spannend fand, weil ich es nicht begreifen konnte und es mich fasziniert hat. Irgendwann hat es mich dann dazu geführt, dass ich es tatsächlich auch gut fand und mich darin einleben konnte. Und das ist sowieso ein wichtiger Aspekt, auch abseits von der Musik, so eine Fähigkeit, sich, in diesem Beispiel jetzt in Musik, aber generell auch in andere Personen einfühlen zu können, die möglicherweise völlig fernab dessen sind, was man selbst für gut, richtig oder interessant hält, aber man versucht sich darauf einzulassen und das zu verstehen. Die Person wird das, was sie sagt oder tut schon aus irgendeinem Grund tun und dafür Verständnis aufrechtzuerhalten oder zu erarbeiten ist ein wichtiges Gut für eine Gesellschaft, die zusammen funktionieren will.

Gibt es Kunstschaffende, deren Ästhetik sich stark von deiner unterscheidet oder dieser sogar entgegensteht, die auf dich aber trotzdem einen inspirierenden Einfluss ausüben?

Es gibt in gewisser Weise immer Überscheidungspunkte. Ich würde behaupten, die hast du überall. In jeder Person oder jeder Musik oder jedem Bild gibt es etwas, womit du relaten kannst. Wenn das die Gatewaydrug ist, um den Rest wertschätzen zu können, reicht das erst mal aus. Es gibt viele Künstler:innen, wo ich Teile an der Musik interessant finde und die ich schätze, die ich so aber niemals machen würde, weil ich die peinlich finde oder die mir überhaupt nicht entspricht oder mir die Aussagen nicht gefallen. Es gibt dann aber trotzdem Aspekte, die mir gefallen, die ich spannend finde oder die die Künstler:innen meiner Meinung nach geil gelöst haben, auch wenn es mir nicht entspricht.

Könntest du da jemanden nennen, dessen oder deren Ergüsse ganz anders aussehen als deine eigenen, die aber trotzdem einflussreich sind?

Beispielsweise Klaus Hoffmann. Der ist musikalisch meilenweit entfernt von dem, was ich mache, aber ich schätze ihn textlich und für die Stimmung, die er rüberbringt, enorm. Wobei – so Mucke würde ich wahrscheinlich auch nie machen…Schwierige Frage…Ich hab vor kurzem nochmal was von Maeckes gehört, von den neuen Sachen. Ich finde das meiste davon ziemlich corny und kann damit nur noch ganz wenig anfangen. Ich finde das inhaltlich nicht interessant und auch musikalisch turnt mich das ab – auch bei Tua, den finde ich mittlerweile einfach nur noch kitschig und finde es komisch, in was für eine EDM-Richtung das geht. Aber teilweise schätze ich an den Sachen, wie gut die beiden das hinbekommen, so simple einfache Zeilen zu schreiben oder kleine Melodien oder Brüche oder Sprachbilder zu finden, zwischen unfassbar vielen Zeilen oder musikalischen Anwandlungen, die ich nicht geil finde. Das ist – jedenfalls für mich – so ehrlich peinlich, dass ich kurz denke: „Ne, schlimm, will ich mir nicht anhören“ und mich davon im gleichen Moment berührt fühle. Diese Berührung findet aber auf einem Level statt, dass mir zu einfach ist. Gerade das Einfache finde ich spannend, weil das etwas ist, was mir schwerfällt. Finde ich schon spannend, bei so Popleuten kann ich mir oft einen Großteil der Musik nicht anhören, weil ich das musikalisch abstoßend finde. Entweder ist das super generisch oder basic von Trap inspiriere Popmusik, die super uninteressant ist oder einfach so glattgeleckte EDM-Kacke. Und dann gibt es aber zwischendrin wieder so Singles, bei denen ich mir denke: „Heftig, was du da für ne Melodie gefunden hast“ oder „Boah, die Zeile ist voll auf den Punkt gebracht und berührt mich zwischen dem ganzen komischen Zeug, was du da machst, das ist einfach stark.“ Ich höre mir dann nicht das Album an, weil ich mir den Film, den die sich fahren, nicht so zur Genüge selbst fahre, als dass ich mir das länger geben könnte.

Würdest du sagen, dass Werke, die du wirklich schätzt, eine ähnliche Schwere haben, wie deine eigenen – oder zumindest etwas Düsteres oder Melancholisches? Kann „Gutfühlkunst“ funktionieren?

Ist halt die Frage, wo man da die Grenze zieht. Beispielsweise Nicolas Jaar ist für mich Wohlfühlmusik hoch zehn – viel wohlfühlmäßiger geht’s nicht.

Das ist aber kein Ausdruck von Freude. Ich glaube, die meisten Leute würden das eher als melancholisch und langsam bezeichnen. Und das sind Attribute, die sich durch vieles von dir Zitiertes durchziehen - deshalb die Frage nach Gegenbeispielen.

Meinst du jetzt Musik auf meinem iPod, die ganz klar Happy Shit ist?

Ja. Oder ist gute Kunst immer Schmerz?

(lacht) Nee. die Aussage finde ich super schwierig und mit einem romantisierten Künstlerbild behaftet, dass ich auch eher schwierig finde. Ich komme aber nicht umhin zu denken, dass bei Kunst – vor allem Musik – die so unbedarft und lustig und freudig und auch in den meisten Fällen überdreht ist, eine gewisse Ehrlichkeit fehlt und ich das tatsächlich die meiste Zeit ziemlich nervig finde. Was mir da fehlt, ist die Dringlichkeit. Ich habe dann nicht das Gefühl, die Person hat mir was zu vermitteln. Ich will Musik die…

… auf Bewegung hinzielt? Happy Shit ist im Prinzip schon eingenistet im Status Quo?

Ja, im Schlaraffenland. Alles ist gut und nichts muss sich ändern. Das kann ich von meinem Standpunkt nicht verstehen, weil ich sage, dass sich viel bis alles ändern müsste, inklusive mir. Da reitet dann eine Mischung aus Unzufriedenheit mit mir selbst und der Außenwelt Hand in Hand in die Schwärze. Ich krieg Abwehrreaktionen bei überfreudiger Mucke. Ich krieg davon schlechte Laune und ich kann nicht sagen warum, es nervt mich auf jeden Fall extrem. Es wirkt meistens nicht, wie von einem Menschen gemacht, sondern wie von einem nicht existenten, aber propagierten Ideal, das in dem Bestreben hochgehalten wird zu sagen: „Ist doch alles gut wie es ist“. So eine Musik kann nicht von einem Menschen stammen, der sich mit sich und seiner Außenwelt beschäftigt.

Allgemein ist fröhliche und verständliche Musik aber in erster Linie die, die erfolgreich ist.

Naja, aber dann hast du sowas wie Grauzone oder Fehlfarben und die sind so tieftraurig…

… aber ja auch nicht in dem Sinne erfolgreich. In den Top-100 landest du wahrscheinlich eher, wenn du keine komplexe, experimentelle, „depressive“ Musik machst.

Depressiv muss es ja auch nicht sein. Das will ich ja überhaupt nicht.

Wäre es dir wichtig, eine möglichst große Hörerschaft zu erreichen?

Ich würde mich freuen, weil das bedeuten würde, dass es Leute gibt, die das schätzen, was zum einen ne Affirmation für mich bedeutet, das freut mich natürlich. Geschätzt zu werden ist einfach etwas, das dem Menschen guttut. Auf der anderen Seite ist aber auch der Punkt, dass das natürlich Ausdruck dessen wäre, dass andere Personen sich in der Musik entweder wiederfinden oder sie ihnen einfach Spaß macht, aber die Musik auf jeden Fall ihr Leben bereichert und das ist was unheimlich Schönes. Wenn meine Musik das liefern kann, was Musik anderer Leute für mich liefert, viel besser kann mans ja eigentlich nicht haben.

Das in deine EP einführende Intro ist dominiert von brachialen Industrial-Noise- Gewittern, die ab einem gewissen Punkt nur noch durch deine nackte Stimme durchbrochen werden, die lakonisch „Alles wird gut“ verkündet. Die gesamte Kulisse ist dabei aber so bedrohlich, dass man eher geneigt ist, einer gegenteiligen Überzeugung zu verfallen. Wird am Ende alles gut?

Es spielt ein bisschen mit dem Vocal-Sample, das davor stattfindet und auch in dieser Passage immer wieder eingeworfen wird. Dieses „Met de prijs van zijn bloed“, also „Mit dem Preis von seinem Blut“, dass Jesus für alle unsere Sünden bezahlt hat und dadurch schon am Ende alles wieder gut werden wird. Und das, finde ich, ist eine ziemlich zynische Betrachtungsweise, so im jenseitigen Nachleben erlöst zu werden, woraus sich für mich in gewisser Weise auch die Folgerung ergibt, dass das Jetzt eigentlich gar nicht mal so relevant ist und einem eine Absolution erteilt wurde.

Also könnte man sagen, dass die Zeile einerseits Affirmation des Diesseits ist, gleichzeitig aber auch Zweifel an einem „Alles wird gut“, also an einem simplen Fortschritts- oder Paradiesgedanken? Also einerseits sehen, dass das Jenseits kein Paradies ist, und andererseits das wenig paradiesische Diesseits bis zu einem gewissen Grad bejahen?

Ich habe einfach nicht den Eindruck, dass alles gut wird. Besonders nicht deshalb, weil jemand für meine Sünden bezahlt hat, aber das steht ja auch mehr für einen allgemeinen Hoffnungsgedanken, der sich auf eine andere Person stützt, die die Verantwortung für einen selbst übernimmt.

Aber ja. Auf jeden Fall eine Abkehr von so einer zynischen Naivität, seine Hoffnungen in ein „Alles wird gut“ zu stecken, während man sich eigentlich gerade – oder auch allgemein – in einer Welt oder in einem Körper, in einem geistigen Zustand befindet, der ganz klar das Gegenteil sagt. Es kommt mir einfach ein bisschen absurd vor, dass alles gut wird. Der Gedanke richtet auch einen Blick in die Zukunft, trägt in sich aber nicht, dass man daran selbst etwas machen müsste, sondern eher ein Hoffen darauf, dass es sich schon im gleichen Maße regeln wird, wie man die Verantwortung an den Herrn Jesus abtreten kann, indem man sagt: „Für meine Sünden wurde bereits bezahlt“, anstatt sich mit den eigenen Sünden und der Verantwortung, die man möglicherweise im Hier und Jetzt hat, selbst auseinanderzusetzen.  Das Sample von den Glockenschlägen ist von Ostern 2020, wo in Wuppertal alle Kirchenglocken gleichzeitig geläutet haben und das eine riesige, erhabene Klangkulisse über die Stadt gelegt hat. Ich fand das so dermaßen absurd; alle Menschen waren daheim eingepfercht, alle fühlten sich schrecklich und dann kommt die Kirche, die eigentlich schon längst ihre Relevanz verloren hat, um die Ecke, und will noch ein bisschen Hoffnung und Zusammenhalt unter den Menschen streuen. Das erschien mir in einer Zeit oder in einem Land, das Solidarität und Zusammenhalt predigt, diese aber überhaupt nicht lebt, auf ’ne ekelhafte Art und Weise witzig.

Auf dem Titeltrack zu deiner EP heißt es „Es war noch nie so leicht, so weich zu sein/ Ich hasse uns für all diese Befindlichkeiten“. Kannst du das Thema hinter diesem offenbar zentralen Motiv etwas aufschlüsseln?

Ich würde behaupten, dass die Generation, in der ich mich befinde, und die Generation noch knapp nach mir, also jetzt Mitte 20/Anfang 20 und noch jünger, in einer so wohlbehüteten Form von Wohlstand großgeworden ist und sich darin immer noch befindet, sehr viel Zeit und sehr viel Geld hat, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Es besteht auch einfach nicht die Dringlichkeit oder der Grund, für etwas einzustehen oder zu kämpfen oder sich eine Überzeugung aufzubauen. Das stößt mir sehr sauer auf. Ich ertappe mich selbst dabei und sehe auch andere Leute um mich herum. Der Hedonismus, den viele Leute aus meiner Generation leben, ist so derart langweilig, weil es kein Ausbrechen aus etwas ist. Es ist einfach nur langweilig. Sehr leer. An sich ist es eine gute Sache, dass sich immer mehr Leute mit sich selbst auseinandersetzen und versuchen, ihr eigenes Gefühlsleben besser auf die Reihe zu bekommen, was nur möglich ist, wenn man die Zeit und die monetären Mittel hat, weil man sonst mit anderen Dingen beschäftigt ist. Auf der anderen Seite habe ich oft den Eindruck, dass die derart wohlbehütet und betucht und umsorgt aufgewachsen sind, dass die Fähigkeit, für sich selbst einzustehen oder Konflikte gut auszutragen – und die nicht nur zu vermeiden und sich beleidigt zu fühlen – dass ich diese Fähigkeit sehr oft schwinden sehe und ich das einfach peinlich finde.

Früher hatten die Leute ’ne Persönlichkeit und konnten sich nicht ausdrücken, heute können sich die Leute ausdrücken, aber haben keine Persönlichkeit mehr?

Könnte man so meinen.

Auf deiner 2018 erschienenen Debüt-EP singst du ausschließlich auf Englisch - mittlerweile ausschließlich auf Deutsch.

Ich würde die, auch wenn ich die immer noch ganz schön finde, nicht zu diesem Ungemach-Kosmos zählen. Das ist für mich eine ganz andere Figur, auch wenn ich das unter dem Namen Ungemach rausgebracht habe.

Was sind die Gründe dafür, dass du deine Texte jetzt doch auf Deutsch verfasst und performst? Was ist anders beim Texten und Performen auf Deutsch?

Ich habe ewig nichts mehr auf Englisch geschrieben, deshalb kann ich den Vergleich nicht so ziehen. Ich weiß aber, dass ich im Englischen viel simpler schreiben muss und das für mich keine direkte Übersetzung dessen ist, was ich eigentlich ausdrücken möchte und worin ich meine Person gespiegelt sehe. Ich würde sagen, dass Sprache in ihren Eigenheiten Charakter oder Persönlichkeit formt – zumindest kann sie das. Im Deutschen fühle ich mich viel wohler, weil mein Vokabular in der Sprache unheimlich viel breiter ist als im Englischen und ich die Sprache tatsächlich viel mehr schätze. Beim Englischen habe ich oft das Problem, dass Worte für alles und nichts stehen können. Ich habe da keine Verbindung. Im Deutschen gibt’s so viele verschiedene Wörter, zwischen denen ich wählen kann, deren jeweilige Bedeutung variiert. Jedem dieser Wörter kann ich eine eigene Konnotation, eine eigene Färbung beimessen. Mit Querverweisen auf andere Wörter ergibt das ein viel komplexeres und treffenderes Sprachbild, als ich das im Englischen jemals im Stande wäre, zu vollbringen. Und ich mag den Klang der deutschen Sprache unheimlich gerne.

Auch wenn du gesagt hast, dass du „Those Good Times“ eher als Vorphase deines künstlerischen Outputs siehst, glaube ich, dass an dieser Stelle die Bezugnahme auf die EP hilfreich ist, wenn ich meine Beobachtung teile, dass das Soundbild im Vergleich zu deinem Debüt kratziger geworden ist. Die melancholische Romantik ist nicht gänzlich verschwunden, aber doch zurückgefahren. Wie siehst du selbst deine musikalische Entwicklung innerhalb der letzten zwei, drei Jahre?

Ich glaube, diese Entwicklung zu immer harscherem, fieserem Sound ist auch ein bisschen dem geschuldet, dass ich so einen Sound schon immer machen wollte, aber mittlerweile erst das Handwerk beherrsche. Ich habe so Songs in der Richtung früher auch ansatzweise gemacht, aber nicht so hinbekommen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es hat enorm lange gedauert, bis ich an einem Punkt war, wo ich überhaupt mit Synthesizern und der Musiksoftware, die ich habe, ordentlich umgehen konnte. Aber das, was jetzt in der neuen EP rausgekommen ist, ist ja auch nur ein ganz kleiner Bruchteil dessen, was ich noch in der Pipeline habe oder was ich gemacht, aber nie rausgebracht habe. Da ist einiges, was niemals an die Öffentlichkeit gelangen wird, weil es Training war. Darunter waren dann sowohl ruhigere, melancholischere Sachen als auch härtere, brachialere Geschichten. Ich werde auch in Zukunft wieder...was heißt wieder...Das Soundbild wird sich um einige Facetten und Nuancen erweitern.

Also würdest du sagen, zentral ist hier vielleicht gar nicht unbedingt eine zeitliche Entwicklung deiner Ästhetik, sondern mehr ein projektbezogenes Denken und ein Abwägen darüber, wie genau die Gesamtkomposition auszusehen hat? Also eher eine ästhetische Entscheidung als eine ästhetische Veränderung in deinem eigenen Bezugsrahmen?

Das auf jeden Fall. Ich finde beiden Sparten wichtig und je nach dem, was ich gerade ausdrücken möchte, taugt entweder das eine oder das andere Tool dafür.

In welchem Verhältnis begegnen sich Schönheit und Hässlichkeit, Romantik und Aggression in deiner Musik sowie in der Kunst im Allgemeinen? Es scheint, als wäre diese Polarität in gewisser Weise in jedem deiner Werke zu finden. Ist die „reine“ Schönheit ein Trugbild?

Die reine Schönheit ist sehr schwierig, ohne dass das sofort zum Kitsch wird. Reine Schönheit baut nur auf einem gesellschaftlich vorgeprägten Bild, einer Vorstellung davon, was Schönheit zu sein hat, auf. Und dadurch ist sie automatisch Kitsch, weil sie sich auf ausgetretenen Pfaden bewegt und auf reine Affirmation hinbewegt. Und Schönheit besteht für mich viel mehr in Faszination für etwas oder Freude an etwas oder in Interesse oder Begeisterung für etwas. Das kann in sehr vielen Dingen stattfinden, auch in abstoßenden Dingen, die nach dem reinen, klassischen Schönheitsbegriff überhaupt nicht damit übereinstimmen, mich aber faszinieren. Das bereichert mein Leben oder lässt mich frohlocken. Ich weiß nicht, ob man da von Schönheit sprechen sollte. Ich kann mit diesem binären „Schönheit/Hässlichkeit“ nichts anfangen. Verstehe ich nicht so richtig. Das eine ist in dem anderen immer mit inbegriffen.

Es ist letztendlich auch eine willkürliche Festsetzung, die tatsächlich bloß definiert, inwiefern dein eigener Schönheitsbegriff sich dem bereits bestehenden, allgemeinen Schönheitsbegriff annähert?

Ja.

Ist dein Schaffen grundsätzlich mit einem avantgardistischen Anspruch verknüpft? Ist gute Kunst neu, aufregend, anders?

Ich begebe mich da natürlich auf schwieriges Terrain. Ich würde im Allgemeinen sagen, dass gute Kunst insofern immer avantgardistisch ist oder sein muss, als dass die Person, die es macht, nebst aller Belanglosigkeit und Gleichförmigkeit ihrer Existenz eigentlich in sich selbst – würde ich zumindest behaupten – immer etwas hat, durch das sie so geformt wurde, dass der Ausdruck, den diese Person findet, zwingend ein eigener sein muss – wenn die Person sich nicht klar dazu entscheidet, nicht herauszufinden, was dieser eigene Ausdruck ist. Das ist das, was ich versuche zu machen. Insofern begebe ich mich auf schwieriges Terrain. Sich das auf die Fahne zu schreiben, kann scheitern. Es kann sein, dass Leute behaupten, dass es nur belangloser, schon dagewesener Dreck ist. Das würde ich nicht behaupten, ich würde behaupten, dass ich textlich einen Weg gefunden habe, mich auszudrücken, den ich so in der Form nicht kenne. Musikalisch genauso. Vor allem mit den Sachen, an denen ich jetzt arbeite, noch mehr als auf der EP selbst. Da kenne ich auch musikalisch nichts genau so, was bereits existiert. Ich kenne die Versatzstücke, die mich inspiriert haben, in so eine Richtung zu gehen und ich kenne das Konglomerat daraus, aber die Zusammensetzung und der eigene Spritzer, den ich noch in diesen Sud mit hineingegeben habe, würde ich behaupten, lässt es zu was Eigenem, Neuen und dadurch auch zu etwas Avantgardistischem werden. Das ist aber nicht der Anspruch, den ich daran habe, weil ich glaube, dass Musik, die den Anspruch an Avantgardismus hat, aus dem Blick verliert, was einen überhaupt interessiert, und oftmals – das ist der Eindruck den ich bekomme – so sehr darauf bedacht ist, möglichst anders zu sein, dass es peinlich oder unhörbar wird, so gewollt hässlich, gewollt schlecht. Ich bekomme dann oftmals den Eindruck, dass das genuine Interesse, an dem, was die da machen, nicht so gegeben ist, wie der Wille zur definitiven Abgrenzung um jeden Preis.

Es ließe sich fragen, ob gleichförmiger künstlerischer Ausdruck nicht die logische und notwendige Folge ökonomischer und kultureller Massenproduktion und -konsumption ist, die auch immer gleichförmigere Individuen produziert.

Individuen, die sich im gleichen Zug aber auch immer mehr im Individualismus bestätigt sehen, der aber so in der Form nicht wirklich existiert. Ich weiß nicht, ob das jemals anders gewesen ist. Dazu habe ich die Vergleichsmöglichkeiten nicht. Ich würde behaupten, dass die Musiklandschaft garantiert über die letzten Jahrzehnte, über das letzte Jahrhundert, immer reichhaltiger geworden ist, auch wenn es eigentlich ein Jahrhundert des immer weiter voranschreitenden „Turbokapitalismus“ gewesen ist. Das ist auf jeden Fall eine interessante Beobachtung. Es fuckt mich sehr häufig ab, wenn ich bei Leuten, die Musik machen, den Eindruck bekomme, dass sie versuchen, Musik zu machen, die klingt „wie“, also wie Etwas, das Erfolg hat, weil sie wissen, dass Musik die „wie“ etwas klingt, funktionieren kann. Die Leute fühlen sich mehr zu dem Erfolg, den diese Musik verspricht, hingezogen, als zu dem Musik machen. Auch dieses Ding von: „Ah, die Person macht so eine Art von Mucke und die ist super einfach, die kann ich auch machen, warum sollte ich das nicht auch machen“. Das finde ich unfassbar uninteressant. Einfach etwas zu machen, wo du denkst: „Das kann ich auch“, und nicht den Schritt zu gehen, und zu sagen: „Das kann ich auch, aber es ist langweilig, wenn ich stehenbleibe und deshalb möchte ich das weiterentwickeln“.

Beziehungsweise gibt es keinen Grund, das auf eine CD zu pressen.

Genau! Wenn du das für dich machen willst, nice! Spaß mit den Freunden, why not? Aber beispielsweise Trap oder Deutschrap sind für mich Paradebeispiele dafür. Der Markt war schon vor Jahren übersättigt (lacht).

Diese Woche habe ich unter einem Artikel über den quasi zwanghaft provokanten Jonathan Meese und seine neuerdings auch musikalischen Ambitionen den Kommentar gelesen, der provokante Künstler sei die tragische Figur unserer heutigen Zeit, in der es eben keine Tabus mehr gebe, die noch zu brechen übrigblieben und in welcher der Tabubruch selbst zur Konvention erstarre. Denkst du, dass Kunst provokativ sein muss? Und würdest du der Diagnose, alle Tabus seien mittlerweile durchgespielt, zustimmen?

Ich würde dem insofern zustimmen, als dass jedes Tabu zu Werbezwecken in ein Marktsystem eingebunden werden kann, monetarisierbar ist und dadurch jegliche Subversivität verliert. Ich würde aber nicht sagen, dass alle Tabus – wobei, vielleicht sind alle Tabus gebrochen, aber es gibt immer noch genug Leute, die sich über alles und jeden aufregen. Ich habe mal in die Kommentarspalte von einer Modenschau – ich weiß nicht mehr, was es war, ich glaube Prada – gelesen. Jeder zweite Kommentar war: „Das sieht ja schrecklich aus! Wenn mein Mann so angezogen wäre, würde ich ihn aus dem Haus schmeißen! Was? Das sollen Männer sein?“. Das war jeder zweite Kommentar und das klingt, als wäre das aus fucking 1960.

Du musst vielleicht dazu sagen, was für Männer dargestellt wurden.

Ja, einfach Typen, die nicht klar aussehen, wie der Cis/Hetero/Macho-Typ. Androgyn aussehende Typen, die besser aussehen als die meisten Männer, die sich über die aufregen. Insofern: Diese Tabus wurden vor Ewigkeiten gebrochen – obwohl, was heißt Tabus? Jedenfalls Sachen, die Leuten aufstoßen. Aber es hat immer noch nicht aufgehört, bei Leuten auf Widerstand zu stoßen. Deshalb, die Tabus wurden gebrochen, aber das hat nicht zu einem Ende der Tabus geführt. Und die zweite Frage?

Was mir dazu noch einfällt: Deine Kunst wirkt teilweise provokativ durch ihre Bildsprache, aber auch inhaltlich, würde ich sagen, werden auf einem Track wie „Bis uns ein Feiertag vereint“ Tabus verhandelt, die vielleicht tatsächlich noch nicht so durchgenudelt sind, in dem Fall eine schonungslose Auseinandersetzung mit eigenen Familiendynamiken und persönlichen Beziehungen auf eine wirklich konfrontative Weise. Die Frage war eigentlich, ob Kunst provokativ sein muss und kann, aber wir haben das vielleicht auch schon zur Genüge abgefrühstückt.

Ich würde sagen, Kunst muss nicht provokativ sein, aber ihr muss eine Dringlichkeit innewohnen, eine Überzeugung, ein Wille, ein genuines Interesse, in letzter Instanz ein Feuer. Ob das provokativ ist oder nicht, weiß ich nicht. Irgendwen wird es immer stören, wenn man für etwas brennt.

Wie wichtig ist dein Kunstschaffen für dich und dein Leben?

Nimmt halt 80% meiner Lebenszeit ein und ist fundamental. Ohne komme ich nicht gut zurecht, wenn ich einen Tag lang an nichts gearbeitet habe, wo ich das Gefühl habe, dass hat mich in irgendeiner Form künstlerisch weitergeführt. Es gibt ja auch sehr viele Felder, in denen ich mich gleichzeitig betätige. Wenn ich das nicht gemacht habe, fühle ich mich nicht richtig wohl. Was auch damit zusammenhängt, dass es für mich keinen wirklichen Ausgleich gibt, im Sinne von, ich kann halt nicht sagen, ich hab einen geregelten Job oder ’ne Ausbildung oder ein gutes Studium abgeschlossen, wo ich sagen kann, irgendwie werde ich schon an Geld kommen oder wenn man sich in einem guten Job befindet, wo man nicht überkrass viel arbeiten muss, dann so seine Freizeit hat, wo man sagen kann: Ich hab sonst so eine gesicherte Basis und Freizeit ist Freizeit und in der kann ich machen, was ich will, weil ich eine Basis habe, die das erlaubt. Das gibt es bei mir nicht. Ich habe einen Nebenjob, mit dem es finanziell irgendwie funktioniert, aber das wird auf Dauer nicht reichen und hier und da noch Einkünfte. Wenn ich abseits dessen nichts schaffen würde, sondern einfach über Gebühr meine Freizeit mit klassischen Freizeitbeschäftigungen verbringen würde, würde ich mich sehr nutzlos fühlen. Gegenüber meiner Familie, gegenüber der Gesellschaft, aber in erster Linie mir selbst gegenüber. Ich hätte dann das Gefühl, meine Lebenszeit nicht sinnvoll zu nutzen. Zum anderen, um das nicht vollkommen absolut negativ stehen zu lassen, macht mir das auch unheimlich viel Freude.

Also es ist nicht nur der künstlerische Impuls, der aus dir selber kommt und dich antreibt, sondern schon das Eingebettet-Sein in bestimmte gesellschaftliche Strukturen, die es notwendig machen, dass du Output produzierst?

Dann würde ich anderes Zeug machen. Wenn es darum ginge, Sachen zu machen, mit denen ich möglicherweise auch Erfolg habe oder die auch gut ankommen oder die für irgendeinen Nutzen in der Gesellschaft stehen oder für die ich Anerkennung erhalte, würde ich anderes Zeug oder keine Kunst machen.

Ich meinte, weil du die Bedeutung des externen Bezugsrahmens erwähnt hast.

Da ist auf jeden Fall ein Schuldgefühl, das permanent am Schuh drückt. Aber in erster Linie ist das das Schuldgefühl mir selbst gegenüber. Dieses Gefühl zu haben: „Du machst das eigentlich unheimlich gerne und hast da Bock drauf und liebst es, das Zeug zu machen“. Ich hab’ irgendwie an wenig anderen Sachen so viel Freude wie daran.

War das schon immer so oder wann ist das aufgekommen?

War auf jeden Fall schon immer Bestandteil meines Lebens, irgendwelche Sachen zu machen, zu schaffen, in welcher Form auch immer. Natürlich hat die Qualität über die Jahre zugenommen und auch der Stellenwert. An sich hat das aber sehr früh angefangen.

Hältst du es für möglich, dass dir eines Tages die Ideen ausgehen?

Glaub ich kaum, nein. Wenn einem die Ideen ausgehen, habe ich eher den Eindruck, dass man nie Ideen hatte, sondern sich nur auf ein „Außen“ bezogen hat und man dann das Gefühl bekommt, das abgegrast zu haben. Oder äußere Umstände beschrieben zu haben und dann das Gefühl zu haben: „Was soll ich darüber das zehntausendste Mal sagen?“ Während für mich die der Kunst innewohnenden Qualitätsmerkmale des Schöpferischen aus dem Nichts und aus dem Imaginativen kommen, das eigentlich ja nie abebben kann, solange du dich für etwas begeistern kannst und nicht vollkommen resignierst, wofür ich Verständnis habe - Ist aber schade, wenn. Du kannst dich immer wieder zu etwas Neuem motivieren und bewegen. Dafür gibt es auch zu viele schöne, interessante, spannende Sachen, die man machen kann, die man sich auch ausdenken kann. So Sachen von Portishead oder auch Nick Cave, was keine, soweit ich das überblicke, Gesellschaftskritik oder dergleichen beinhaltet, sondern wunderschöne, interessante Welten, die die sich selbst zurechtschreiben und die kann man immer wieder neu erfinden, so lange man irgendwie davon überzeugt ist, dass man die selbst schön und gut findet und das gerne mit anderen Leuten teilen will.

Deine zu großen Teilen von dir selbst konzeptionierten Musikvideos transportieren eine ausdrucksstarke und eigene Ästhetik. Welche Rolle spielt die visuelle Komponente in Bezug auf dein musikalisches Schaffen? Welche Beziehung besteht hier?

Ich denke allgemein sehr bildlich. Auch wenn ich schreibe oder wenn ich über Sachen nachdenke oder Sachen lese, dann kommen da meistens Bildkomplexe in meinem Kopf auf, mit denen ich das zu ordnen versuche. So ist das dann auch beispielsweise, wenn ich an meiner eigenen Musik arbeite oder Texte schreibe, dass ich eine Bildebene im Kopf habe, die ich dann, so weit es möglich ist, auch in den Videos gerne übersetze. Oder auch einfach einen interessanten Kontrast zu der Musik darzustellen, zum Beispiel in dem zweiten Musikvideo „Es war noch nie so leicht“, wo inhaltlich das Video das Thema des Songs, die Textebene aufgegriffen hat, aber auf der rein formalen Ebene das Video eigentlich sehr entgegen des Songs gegangen ist, mit sehr langen, ruhigen Schnitten und nicht wie man so einen Track für gewöhnlich bebildert hätte, mit wesentlich schnelleren, hektischeren Sachen. Es ist eine interessante Erweiterung dieses Kosmos. Ich weiß nicht, ob es auch ohne die Bildebene funktionieren würde. Da ich aber sehr bildlich funktioniere und denke, finde ich‘s auch schön, das anderen Leuten mit beizugeben.

Welcher Teil deines Denkens, Fühlens und Tuns ist es, der in deinen Songtexten seinen Ausdruck findet? In welchem Verhältnis steht deine Künstler-Persona zur Ganzheit deiner Person? Welche Teile deines Lebens, deiner Person sind es wert, in Kunst übersetzt zu werden?

(lacht)

Welche vielleicht nicht?

Ich finde, Banalitäten, die dann oftmals mit Realness oder Nahbarkeit und so einer geerdeten Haltung in Zusammenhang gebracht werden, nicht so interessant. Eigentlich alles, was ich schreibe, meine ich so oder ich finde den Gedanken interessant oder das Bild interessant und es speist sich definitiv aus meinem Denken, aus meiner Person. Es sind teilweise nur übersteigerte, überspitze Formulierungen, bei denen ich glaube, dass sie das, was ich normalerweise nicht sagen würde, zum Ausdruck bringen können. Da habe ich schon öfter mit Freunden drüber gesprochen – es ist schwierig das so zu formulieren, dass es dem gerecht wird. In deinem Leben wird dir permanent die Nichtigkeit deiner Existenz vorgehalten, zumindest empfinde ich das so, und die Belanglosigkeit deines Denkens und die Durchschnittlichkeit, Mittelmäßigkeit deiner Existenz. Ich finde es in der Musik schön, dem ein Extrem entgegenzusetzen, in dem ich das vergesse und meiner Gedanken- oder Emotionswelt einen großen Ausdruck verschaffe, wie ich ihn eigentlich nicht für gerechtfertigt sehe, ihn aber brauche, um mich als Mensch nicht vollkommen belanglos zu fühlen. Deswegen sind auch immer Bezüge auf die Realität da, aber in übersteigerter, inszenierter Form.

Und auch oft sehr persönliche Themen, würde ich behaupten.

Auf jeden Fall. Für andere Sachen brenne ich nicht genug, um ausschließlich diese zu kommunizieren. Das finde ich oftmals bei sowohl bildender Kunst als auch Musik, das sind die beiden Felder, bei denen ich das mitbekomme, vor allem in der bildenden Kunst, die sich immer stärker intellektualisiert, gleichzeitig überhaupt nicht mithalten kann mit wissenschaftlichen Maßstäben – das ist noch einmal eine andere Sache. Ich habe den Eindruck, dass es viele Leute gibt, die nicht über sich selbst berichten. Teilweise geht mir das auch auf den Sack, wenn Leute zu sehr über sich selbst berichten. Mir geht es mehr darum, einen Blick nach innen richten zu können, der dann auch über ein „Außen“ sprechen kann, als einfach das „Außen“ zu nehmen, weil der Blick auf das eigene Innen einen fürchtet oder man es nicht für interessant hält. Wenn man diesen Blick nicht wagt, macht man keine Kunst, sondern eine pseudowissenschaftliche Abhandlung. Das finde ich in der Kunst nicht interessant. Ich weiß, dass das für andere interessant ist. Ich finde das sehr weit von der Menschlichkeit entfernt, die ich Kunst doch beigemessen sehen will.

Ich finde dabei die Frage nach der Kunst exklusiven Erkenntnismöglichkeiten interessant und ob Kunst im konkreten Fall nicht doch bloß leistet, was andere Medien eh leisten...Wenn du zwei bis drei Künstler oder Künstlerinnern nennen müsstest, in deren Tradition oder Bezugsrahmen du dich siehst – Wer wäre das?

Was heißt in deren Traditionen Das hielte ich doch für relativ anmaßend, mich da in die Riege von Leuten zu stellen. Sprachlich, textlich und auch zumindest teilweise von dem Gefühl würde ich Fehlfarben nennen, das passt im gleichen Zug aber überhaupt nicht, weil es etwas ganz anderes ist. Da kann ich nichts wirklich bejahen. Es gibt viele Einflüsse, aber nichts, dessen Tradition ich in meinem Schaffen weitergeführt sehe. Dafür, würde ich behaupten, ist es noch nicht an dem Punkt, das über mich sagen zu dürfen.

Was sind von diesen Inspirationsquellen die wichtigsten?

Andy Stott hat soundmäßig meine Ästhetik unheimlich geprägt, genauso wie Burial. Das waren so Sachen, die schon mit 16 angefangen haben, mich zu beeinflussen. Auch The Bug. Das waren die Sachen, die die elektronisch härtere Schiene bedient haben. Dann noch Fehlfarben, Grauzone, Die Nerven, Karies, Messer, so Sachen aus der Richtung. Textlich letztlich auf jeden Fall in seinen ganz frühen Ursprüngen Rap-Geschichten, aber das hat nicht mehr so die Relevanz. Tucholsky textlich, der hat mich erst so richtig zum Schreiben gebracht, nachdem ich das lange hatte liegen lassen, und mich motiviert, nachdem ich mehr von ihm gelesen hatte. Eartheater musikalisch auch. Ich könnte tausende von Einflüssen nennen, die auch jeden Tag variieren können. Dann gibt’s einen Tag wie heute, da höre ich Ecko Bazz und bin davon an dem Tag unfassbar überzeugt und vergesse andere Sachen. Am nächsten Tag kann’s sein, dass ich mir Chelsea Wolfe anhöre und mir einen ganz anderen Film fahre und am nächsten Tag höre ich ein Experimental Dark Ambient Album mit Industrial-Einflüssen und bin komplett auf dem Film. Daraus ergibt sich ein riesiger Teppich an Sachen, die mich permanent beeinflussen, sodass ich nichts konkretisieren könnte. Das ist ein viel zu großes Feld an Genres und Interessen. Ich finde es auch geil, so viel Musik zu kennen und kennenzulernen und daraus eine Faszination zu ziehen.

Letzte Frage: Ist „Bis uns ein Feiertag vereint“ als eine bewusste Referenz auf Kraftwerk zu verstehen und in welchem Verhältnis stehen die Songs zueinander? Jede Person, mit der ich darüber geredet habe, hat sich an den Kraftwerk-Song erinnert gefühlt.

Ich finde das seltsam. Ich habe gar nicht an den Song gedacht und sehe die Melodieähnlichkeit nicht. Vielleicht ist sie da, ich höre sie aber nicht wirklich. Keine Ahnung.

Vielleicht nur eine Hook, in der das Wort „Autobahn“ sehr präsent ist?

In dem Kraftwerk-Song heißt es ja auch „Fahren, Fahren, Fahren auf der Autobahn“ und bei mir heißt es „nach Hause fahren“. Es ist auch ein einprägsames Wort und wenn man es singt, klingt es gleich. (lacht)

Gibt es Statements oder sonst etwas, was du loswerden willst?

Ich habe noch viel vor, was sich musikalisch in verschiedene Richtungen bewegen wird und ich bin gespannt, wo es damit noch hingeht.